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Jungfrauenweihe

Das Leben eng mit Christus verbinden

09.09.2025

Die Jungfrauenweihe ist ein seltenes Fest der Kirche, das 1970 durch Papst Paul VI. in seiner heutigen Form wiedereingeführt wurde und sich seitdem wachsender Popularität erfreut. In einem feierlichen Gottesdienst in der Abteikirche in Ottobeuren hat Bischof Bertram am Abend des Festtags Mariä Geburt das Weihegebet über die Memmingerin Sema Onar gesprochen und sie dadurch zu einem geistlichen Leben in der Welt beauftragt.

Es sei eine „gute, ja beinahe prophetische Entscheidung“ des Papstes gewesen, die nahezu in Vergessenheit geratene frühchristliche Tradition der Jungfrauenweihe vor 55 Jahren wiederzubeleben, betonte der Bischof eingangs in seiner Predigt: „Denn in unserer Zeit, die von vielen Abbrüchen, immer aber auch von tragfähigen Neuaufbrüchen geprägt ist, braucht es spirituelle Lebensformen, die anpassungsfähig und flexibel sind, wenn es darum geht, wie Sauerteig in dieser Welt zu wirken.“ Geweihte Jungfrauen stünden nicht isoliert vom Rest der Kirche, sondern wurzelten tief in ihren Heimatdiözesen und leisteten einen wertvollen Beitrag zur Präsenz der Kirche in Welt und Gesellschaft – im konkreten Fall von Sema Onar werde dies auch sichtbar durch die Anwesenheit des syrisch-orthodoxen Heimatpriesters der Familie Onar sowie des Bürgermeisters von Ottobeuren German Fries, als dessen Assistentin die Weihekandidatin arbeitet.

Das Fest Mariä Geburt, an dem die Jungfrauenweihe in Ottobeuren gefeiert wurde, verweise damit auf Maria als Stammmutter der Kirche und des geweihten Jungfrauenstandes. Mariens Erwählung durch Gott sei dabei eine radikale Umstürzung der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse gewesen: „Plötzlich ist es nicht mehr der Mann Josef, auf den es in der Geschlechterreihe ankommt, sondern die Tatsache, dass er sich einer Frau vermählt hat, die zur Gottesgebärerin werden soll! Selbst nach 2.000 Jahren zittert diese Umkehrung von allem, was wir allzu gern als unumstößliche, ja ‚gottgewollte‘ Ordnung betrachten, noch nach – spüren Sie es auch?“

Die Familie von Sema Onar war aktiv in die Feier mit einbezogen.

Die Familie von Sema Onar war aktiv in die Feier mit einbezogen.

Gott sei in Christus Mensch geworden und habe sich bewusst zu einer Existenz als sterbliches Lebewesen in Raum und Zeit entschieden, doch habe er diesen Schritt nicht über die Köpfe von Josef und Maria hinweg getan, sondern sie mit einbezogen und „sie damit zu echten Cooperatores, zu seinen Mitarbeitenden“ gemacht. Daraus folge, dass zum aktiven Christsein immer auch gehöre, Gottes Wirken in der Welt spürbar zu machen – ein Auftrag, der in seltener Art und Weise in der Jungfrauenweihe sichtbar werde. Sema Onar binde ihr Leben mit dem in dieser Feier geleisteten Versprechen an Gott, betonte Bischof Bertram, und mehr noch: Sie akzeptiere damit Christus als ihren „Seelenbräutigam“ und bezeuge in ihrem eigenen Leben damit, was die Kirche für alle Menschen erhoffe: Das „ewige Hochzeitsmahl“ und die „endgültige Umarmung mit jener Liebe, die niemals aufhört.“

Im Rahmen des Festgottesdienstes legte Sema Onar anschließend vor dem Bischof ihr feierliches Gelübde zu Keuschheit, Demut, Gehorsam und einem Leben im Gebet ab. Zum Zeichen der Hingabe an Gott legte sie sich ausgestreckt auf den Boden, während in der Allerheiligenlitanei die himmlische Fürsprache für sie und ihren Auftrag erfleht wurde. Nach dem Weihegebet des Bischofs empfing Frau Sonar von ihm Schleier, Ring und Stundenbuch als Zeichen ihrer symbolischen Vermählung mit Christus und ihrer Verpflichtung zum täglichen Gebet und sang abschließend ein altes Dankgebet, das der heiligen Agnes von Rom zugeschrieben wird: „Ich bin mit dem vermählt, dem die Engel dienen und dessen Schönheit Sonne und Mond bewundern.“

In der Allerheiligenlitanei beteten die Weihekandidatin und die versammelte Gemeinde um die Fürsprache bei Gott.

In der Allerheiligenlitanei beteten die Weihekandidatin und die versammelte Gemeinde um die Fürsprache bei Gott.

Sema Onar wuchs als syrisch-orthodoxe Christin in Memmingen auf und konvertierte 2012 zum Katholizismus. Nach einem Studium der Politikwissenschaften in München nahm die 47-Jährige eine Stelle in der Kommunalverwaltung von Ottobeuren an und engagierte sich zugleich kirchlich in der Pfarreiengemeinschaft Memmingen, wo sie unter anderem im Pfarrgemeinderat von Amerdingen aktiv ist. Infolge ihres Entschlusses, den Weg zur Jungfrauenweihe zu beschreiten, studierte sie katholische Theologie im Fernkurs und beschritt zusätzlich eine dreijährige diözesane Vorbereitungszeit, die mit dem Weihegottesdienst endete. Sie wird fortan zölibatär in der Welt leben und Andere mit ihrem Beispiel auf Christus hinführen. Als geweihte Jungfrau ist sie zudem zum täglichen Stundengebet verpflichtet.

Die „geweihten Jungfrauen“ sind einer der ältesten geistlichen Stände der Kirchengeschichte und entwickelte sich wohl bereits lange vor dem Mönchtum. In der Spätantike nahmen die geweihten Jungfrauen eine wichtige Rolle im geistlichen Leben der Kirche ein; seit dem Frühmittelalter verschmolz ihre Gruppe allerdings mit dem der monastisch lebenden Nonnen immer mehr und verschwand schließlich gänzlich aus der kirchlichen Tradition. Im späten 19. Jahrhundert wurde im Zuge der liturgischen Erneuerung wieder damit begonnen, zunächst noch im klösterlichen Umfeld mit der Jungfrauenweihe zu experimentieren. 1970 wurde der Ritus durch Papst Paul VI. schließlich wiederhergestellt und erfreut sich seitdem wachsender Beliebtheit. Heute leben weltweit über fünftausend Frauen in diesem Stand; in Bistum Augsburg sind es derzeit 27.