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Aschermittwoch der Künstler

Ein Fastentuch, das nachdenklich stimmt, provoziert und einlädt

14.02.2024

Augsburg (pba). Das farbenprächtige Fastentuch im Altarraum der Mindelheimer Pfarrkirche St. Stephan war an diesem Aschermittwoch der Künstler nicht nur Blickfang, sondern auch Programm. Ins Zentrum dieses Tages, an dessen Anfang der Gottesdienst mit Bischof Dr. Bertram Meier stand, rückten er und Friederike Haber, die Leiterin des örtlichen Textilmuseums, die Künstlerin, Pädagogin und Sammlerin Hilda Sandtner (1919-2006). Musikalisch gestaltet wurde die Liturgie von Kirchenmusiker Michael Lachenmayr und dem Vokalensemble InVocare.

In seiner Predigt, in der Bischof Bertram das Zusammenwirken von bildender Kunst und Verkündigungsdienst herausstellte, schlug er den Bogen zur aus dem Unterallgäu stammenden Fastentuch-Künstlerin, deren Werk im Chorraum unweigerlich auf das Ende des Faschings hinweist. So bilde dieses Tuch das Gegenstück zum Dreigestirn der Mindelheimer Fastnacht. Denn während das Dreigestirn jüngst noch die Stadttore verkleidete, verhänge das Fastentuch den Altar der Pfarrkirche und setze damit eine bis ins 9. Jahrhundert zurückreichende Tradition fort. Damit sei der Altar dem Blick der Gläubigen entzogen, denn auch das Auge sollte fasten. Die alte Redewendung „am Hungertuch nagen“ beziehe sich demnach „nicht nur auf materielle Armut, sondern auf die optisch erzwungene scheinbare Gottferne“, erläuterte der Bischof.

Neben seiner szenischen Gestaltung beeindrucke ihn am Sandtnerschen Fastentuch auch dessen thematische Ausrichtung, die die sogenannten sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit in Bilder fasst. Auch wenn einige der knappen Formulierungen wie „Unwissende belehren“ oder „Sünder zurechtweisen“ aus der Zeit gefallen anmuteten, gehe es im Kern doch vor allem um die Sendung der Kirche. Bischof Bertram betonte: „So richten diese sieben Werke unsere Aufmerksamkeit auf die geistigen Nöte unserer Zeit, unter denen viele Menschen leiden, die Zuspruch, Verständnis und Nähe suchen.“ Das Fastentuch jedenfalls stimme ihn nachdenklich – und provoziere. Es stelle eine Einladung dar, „bei Gottes großartigem Werk der Barmherzigkeit mitzumachen und uns zu engagieren“. Die Fastenzeit biete dazu jedenfalls die Gelegenheit, damit anzufangen.

Zudem gab der Bischof den anwesenden Kunstschaffenden und Gästen für die nun begonnene Fastenzeit eine „Übungsaufgabe“ für die nächsten 40 Tage mit auf den Weg: „Gehen Sie mit dem kleinen Wörtchen ‚genug‛ durch die kommende Zeit. Üben Sie täglich mit der simplen Frage: Wann ist etwas für mich ‚genug‛? Genug Essen, genug Besitz, genug Arbeit, genug Jammern?“ Er sei sich sicher, dass es eine Erfahrung sein werde, die befreit und letztlich auch beseelt, so Bischof Bertram.

Im Anschluss an die Aschermittwochsliturgie mit dem Auflegen des Aschenkreuzes referierte die heutige Museumsleiterin Friederike Haber noch vor Ort über die Person, das Leben und das Werk der aus dem Unterallgäu stammenden Kunstprofessorin. Denn ihr sei es wichtig, die künstlerische Vielseitigkeit von Hilda Sandtner zum Vorschein zu bringen und sie nicht nur auf die Museumsleiterin zu reduzieren. Denn bereits in Vorbereitung der Sonderausstellung zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2019 sei - bereits 13 Jahre nach Sandtners Tod - der Eindruck entstanden, dass sie fast schon in Vergessenheit geraten sei. Dabei seien alle drei großen Teilaspekte „Künstlerin, Pädagogin und Sammlerin“ bei ihr regelrecht verknüpft und verwoben gewesen. „Alle Disziplinen lagen wie die Steine ihrer monumentalen Mosaike, wie die Farbfelder ihrer bunten Glasfenster nebeneinander.“ Diese vielen bunten Facetten ihres Lebenswerks ließen bis heute die Persönlichkeit dieser bemerkenswerten Frau wie ihre wunderbaren Kirchenfenster hindurchscheinen, so Friederike Haber.

Die Museumsleiterin gab schlaglichtartige Einblicke in das künstlerische Werk Sandtners und beleuchtete auch, wie es ihr in einer männerdominierten Kunstszene immer wieder gelang, Vorurteile abzubauen und sich Respekt zu verschaffen. Dabei zeichnete Haber das Bild einer freischaffenden Künstlerin, deren Anspruch es war, dass sowohl Entwurf und als auch Ausführung in ihrer Verantwortung lag. Man dürfe sich in seinem kreativen Schaffen aus falsch verstandener Bescheidenheit nicht einschränken lassen, lautete ihre Überzeugung.

Auf zahlreichen Reisen habe Sandtner Eindrücke und Ideen für ihre Kunst gesammelt. „Vor Ort hielt sie diese in schnellen Zeichnungen fest, die vom Reiz des Unmittelbaren leben.“ Ihre wichtigste Inspirationsquelle sei allerdings ihre Sammlung von mehr als 17.000 Objekten gewesen, die den Grundstock der von ihr gegründeten Textilmuseums bildeten. „In ihrer Sammlung sah Hilda Sandtner selbst jedoch die Essenz ihrer pädagogischen Tätigkeit. Denn sie sammelte nie nur um den Sammelns Willen.“ Großartige Kunstwerke seien ihr ebenso viel wert gewesen wie einfachste, aber kreativ gestaltete Gebrauchsgegenstände.

Als Professorin der Kunstpädagogik, betonte Museumsleiterin Haber, habe sie ihr Hauptaugenmerk auf das Textile gelegt. „Dass sie als Künstlerin heute nicht mehr so sehr im Bewusstsein ist, liegt vielleicht auch an ihrer Bescheidenheit. Für sie stand das Werk im Vordergrund.“ So hätte sie heute wohl über das Fastentuch gesprochen, das den Altar in der Stadtpfarrkirche verhüllt. Sie hätte als tiefgläubige Christin ebenso über dessen Bedeutung und Funktion gesprochen, wie auch über die eingesetzten Techniken und die verwendeten Materialien. Und vielleicht auch darüber, warum sie zunächst den Auferstandenen ins Zentrum stellen wollte und nun - statt des leidenden Christus am Kreuz - der Gekreuzigte als strahlender Sieger über den Tod dargestellt ist.  

Nach der Begegnung und dem Austausch im historischen Silvestersaal nutzten die Gäste die Gelegenheit, sich die Sammlung von Hilda Sandtner in dem von ihr gestifteten Textilmuseum persönlich anzuschauen.

 

Zu Künstlerin und Werk

Nach Abschluss ihres Studiums an der Akademie für Bildende Künste in München war Hilda Sandtner zunächst als Kunsterzieherin und als Porzellanmalerin in der Oberpfalz tätig. 1959 wechselte sie als Dozentin an die Pädagogische Hochschule Augsburg, wo sie den Fachbereich Kunsterziehung aufbaute. Nach der Eingliederung des Institutes in die neu gegründete Universität übernahm sie 1976 bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1984 die Leitung des Lehrstuhls für Kunsterziehung.

Für zahlreiche Kirchen im Raum Augsburg und in Schwaben gestaltete sie großformatige farbenfrohe Fenster und Wände mit Glasmosaiken. Eindrucksvolle Beispiele ihrer Arbeit sind etwa in der Pfarrkirche St. Elisabeth in Augsburg-Lechhausen zu sehen, wo Sandtner ein mehrteiliges Glasmosaik mit Szenen aus dem Leben der Kirchenpatronin Elisabeth von Thüringen sowie zwei runde Fenster unter der Empore und ein hohes Rundbogenfenster gestaltete.

Hilda Sandtner verfügte über eine umfassende Privatsammlung von Textilien und Kunstgegenständen aller Art, die sie nach der Errichtung einer Stiftung 1984 der Stadt Mindelheim übereignete. Die Sandtner-Sammlung bildete den Grundstock des Textilmuseums Mindelheim, das 1986 im zweiten Stock des als Museumsgebäude umgenutzten ehemaligen Jesuitenkollegs Mindelheim eröffnet wurde.