Von Pferden und Pferdestärken
Seit genau einem Jahrhundert werden alljährlich auf dem Auerberg bei Stötten Pferde zu Ehren des heiligen Georg um die dortige Wallfahrtskirche in einem prächtigen Umzug herumgeführt. Anlässlich des Jubiläums-„Georgiritts“, wie die Tradition auch bekannt ist, hat Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger in seiner Festpredigt die Verpflichtung des Menschen zur Pflege und Bewahrung der Schöpfung betont.
Trotz des bemerkenswerten Anblicks der in anfänglich dichtem Nebel versammelten Menschen und Tiere stellte der Weihbischof zu Beginn seiner Predigt eine provokante Frage: Warum brauche der Mensch ein Pferd, wenn es als landwirtschaftliches Nutztier doch schon längst durch moderne Traktoren abgelöst worden sei? Die Welt habe sich seit dem ersten Stöttener Georgiritt 1925 schließlich stark gewandelt, so der Weihbischof weiter: „So sehr wir uns gerade hier im Allgäu den bäuerlichen Familienbetrieb mit seinen dörflichen Strukturen wünschten, so sehr ist die Landwirtschaft in allen Ecken und Enden heute ein Gewerbe von industriellem Zuschnitt geworden.“ Zwar würden in Erinnerung an das alte Erbe die Leistungszahlen moderner landwirtschaftlicher Fahrzeuge nach wie vor in Pferdestärken gemessen, doch seien Pferde selbst heute im Wesentlichen „zu Partnern im Sport und in der Freizeit“ geworden.
Ein aufmerksamer Blick auf diesen scheinbaren Gegensatz zwischen „Teil der Natur“ und „Werk des Menschen“ könne aber auch das Verständnis für neue Lebensmaßstäbe schärfen, denn: „Wo die Menschheit immer größer, immer höher und immer weiter denkt, wo sie das vernünftige Maß der Wirklichkeit verliert, da steht am Ende Zerstörung.“ Dies werde in den vielfältigen ökologischen Krisen der heutigen Welt sichtbar wie etwa dem Verlust an Biodiversität und auch der Zerstörung lebenswerter Umwelt für nachfolgende Generationen, wie es der gerade verstorbene Papst Franziskus während seines Pontifikates wiederholt thematisiert habe.
„Wir haben den Weltraum erobert, aber nicht den Raum in uns“, zitierte Weihbischof Lobinger abschließend den Benediktinermönch David Riedl. Die Errungenschaften der modernen Technik forderten die Menschheit noch mehr heraus, das richtige Maß im Umgang mit der Schöpfung zu finden und zu bewahren. Vielleicht könne auch die starke Tradition des Georgiritts auf dem Auerberg bei dieser Aufgabe helfen: „Der Mensch muss Maß halten! Er muss seine Stellung in der Schöpfung erkennen, damit alles in eine gute Zukunft geht. Vielleicht ist es so, dass uns hier das eine PS beim Georgiritt in Stötten mehr inspirieren kann, als die 500 PS des schönsten und teuersten Traktors im Allgäu.“
Die Festmesse wurde von Weihbischof Lobinger gemeinsam mit den leitenden Pfarrern der Pfarreiengemeinschaften Stötten und Auerberg auf einer Wiese unterhalb der Wallfahrtskirche St. Georg vor über tausend Besucherinnen und Besuchern gefeiert. Zentrale, traditionelle Bestandteile waren dabei auch der gesungene Georgsschwur, in dem die Anwesenden ihre Treue zum heiligen Kirchenpatron bekräftigten, die Segnung der anwesenden Pferde und das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt, symbolisch dargestellt durch zwei reiterlose Pferde und musikalisch begleitet vom Lied des guten Kameraden.
Im Anschluss an den Gottesdienst begann der eigentliche Georgiritt um die Auerbergkirche. 135 Pferde und hunderte Männer und Frauen zogen dabei um das Gotteshaus. Viele waren dabei auch als römische Legionäre gekleidet und stellten damit die Verbindung zur antiken Vergangenheit des Auerbergs als römischen Militärstandort her. Musikalisch wurden die Festmesse und der folgende Umzug durch die Musikkapellen von Bernbeuren, Stötten und Rettenbach gestaltet.
Georgiritte sind eine vor allem in Südbayern und Österreich verbreitete Tradition, die wohl auf die weit verbreitete bildliche Darstellung des heiligen Georg zu Pferde zurückgeht. Der Georgiritt auf dem Auerberg wurde 1925 durch den Schützenverein Stötten ins Lebens gerufen und feiert in besonderer Weise das Patrozinium der Filial- und Wallfahrtskirche St. Georg auf dem Auerberg. In dem seit damals vergangenen Jahrhundert hat sich die Tradition zu einem vielbeachteten Ereignis entwickelt, das Jahr für Jahr von vielen tausend Menschen besucht wird.
Die Wallfahrtskirche St. Georg steht auf dem höchsten Punkt des Auerbergs auf 1055 Meter Höhe und befindet sich auf den Überresten eines römischen Militärlagers, dessen Wallanlagen zum Teil heute noch sichtbar sind. Der Turm als ältester Bestandteil der Kirche ist romanischen Ursprungs, während der Chor und das Langhaus in der Spätgotik und dem Barock angebaut wurden. Das Gotteshaus ist ein regional beliebtes Wallfahrtsziel und wird aufgrund seiner exponierten Lage auch von zahlreichen Touristinnen und Touristen gerne aufgesucht.