„Dieser Abend ist heute“
„Dieser Abend ist heute.“ Kann es einen Satz geben, der so einfach und gleichzeitig so dramatisch ist wie dieser, den Bischof Dr. Bertram Meier als ersten Satz seiner Predigt zur Feier des letzten Abendmahls gewählt hat? Im gut besuchten Augsburger Dom wurden am Abend des Gründonnerstags die Gläubigen plastisch in die Dramatik des Geschehens am letzten Abend im Leben Jesu Christi hineingeholt. Dazu gehörte auch die Fußwaschung, die Bischof Bertram an Frauen, Männern und Kindern der Dompfarrei vornahm.
„Dieser Abend ist heute. Heute Abend nimmt Jesus das Brot, er spricht ein Dankgebet, bricht das Brot und teilt es aus an uns. Dabei geht es um mehr als um Brot. Das Brot ist Christi Leib: Vorwegnahme für das, was morgen geschieht.“ Und dieses Brot, so Bischof Bertram weiter, seien auch wir, wie der heilige Augustinus in einer Predigt erläutert habe: „Jenes Brot, das ihr auf dem Altar durch das Wort Gottes geheiligt seht, ist der Leib Christi. Wenn ihr es in rechter Weise empfangen habt, seid ihr, was ihr empfangen habt.“
Die Geburt einer Einheit, so stellte der Bischof den Moment des Brotbrechens dar. Das Brot stehe für den Herrn selbst, für das Haupt des Leibes, und dessen Glieder seien wir. Indem Jesus Brot nehme und es zu seinem Leib mache, binde er sich auch an uns, seinen Leib in der Geschichte. Bischof Bertram: „Werden wir diesem Anspruch gerecht? Was bekommen die Menschen vorgesetzt, wenn sie bei uns anklopfen, nicht nur am gedeckten Tisch im Haus, sondern an den Türen unserer Herzen? Womit speisen wir sie ab? Was bieten wir ihnen an? Bleibt es beim Zuckerbrot freundlicher Höflichkeiten oder offerieren wir auch trockenes Vollkornbrot, das hilft, mit Unverdautem fertig zu werden? Welche Rolle auf unserer täglichen Speisekarte spielt die Mahlzeit vor dem Frühstück, das „Brot des Lebens“ in der heiligen Messe?“
Beim letzten Abendmahl, so ist es in jeder heiligen Messe zu hören, sprach Jesus das Dankgebet. „Wofür könnten wir nicht alles danken?“, fragte Bischof Bertram: „Dank dafür, dass wir leben dürfen. Ich danke dir, dass du mir einen Leib geschaffen hast, auch wenn ich mitunter nicht ganz damit zufrieden bin, mich etwas zu schwer fühle oder zu dick oder zu klein oder zu lang oder zu dünn. Ich danke dir, dass du dir mit der Kirche einen Leib geschaffen hast, der auch mein Leib ist im übertragenen Sinn: der Leib einer geistlichen Gemeinschaft, nicht mehr ganz frisch, mitunter altbacken wirkend, jedenfalls nicht mehr knusprig, vom Reinbeißen ganz zu schweigen, im Gegenteil: Man kann sich an der Kirche auch die Zähne ausbeißen. Manche denken eher an eine eingebrockte Suppe, wenn die Gemeinschaft trocken ist wie ein Laib Brot aus der vergangenen Woche. Trotzdem haben wir Grund zum Danken: Herr, sei gepriesen, weil du mich in die Kirche, in eine Gemeinschaft von gleichgesinnten Schwestern und Brüdern gerufen hast. Sei gepriesen, weil diese Gemeinschaft mich schützt und stützt. Sei gepriesen, weil die Gemeinschaft mein tägliches Brot ist, aus dem ich leben darf.“
Gerade dieser Gedanke der Gemeinschaft sei ein wesentlicher Kern der Feier des letzten Abendmahls, so der Bischof: „Wir brauchen das Brot der anderen. Wir brauchen einander, um uns auf unserem Weg zu schützen und zu bestärken. Helfen wir einander immer mehr in die Kommunion hinein. Teilen wir einander mit, was uns bewegt, was uns freut und traurig macht. Jeder und jede von uns ist ein Korn, nur gemeinsam werden wir zum Brot. Nur als Gemeinschaft werden wir Leib Christi.“
Bischof Bertram schloss seine Predigt mit folgenden Worten: „Am Abend, als Jesus ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf, nahm er das Brot und sagte Dank, brach es, reichte es seinen Jüngern und sprach: ‚Nehmet und esset alle davon. Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.‘ Die Jünger sind wir, und der Abend ist heute.“
Wohl jeder im Dom spürte in diesem Moment, dass diese zweitausend Jahre alte Geschichte gegenwärtiger nicht sein könnte.